Ein polnischer Sommer

Im Sommer 2021 machten sich Vaddern und ich auf den Grenzfluss Bug zwischen Polen, Weißrussland und der Ukraine zu erreichen. In sieben Tagen durchquerten wir den Süden Polens von West nach Ost.

Aufbruch nach Süd-Ost

Samstag, 26. Juni 2021

Wie Schaufelradbagger wühlen sich die AT-Reifen durch die aufgeweichten Pisten. Dicke Dreckspritzer landen auf Front und Seitenscheiben. Äste kratzen über den Lack und lassen die kleine CB-Funk-Antenne schnalzen. Verlässt man das Fahrzeug, um selbige wieder aufzurichten, kleben sofort Mücken, Bremsen und Fliegen an jeder unbekleideten Körperstelle. Wir sind irgendwo südöstlich von Frankfurt/Oder und das regnerische Wetter der letzten Wochen hat aus den unbefestigten Pisten Schlammwüsten gemacht. Die auf den ersten Tourabschnitt folgenden Asphaltstraßen bei Żagań (dt. Sagan) sind verglichen zu dieser Schlammschlacht ein Segen.

Pause bei Żagań – bis dahin wurden die Antennen mehrmals aufgerichtet

Diese Tour wird eine ganz einfache Fahrzeugreise, ohne große vorherige Routenplanung oder Literaturrecherche. Der angedachte Reiseweg besteht aus Elementen des T.E.T’s mit einigen Abschnitten, die wir noch aus vergangenen Touren im Kopf haben und einer Prise Improvisation vor Ort. Noch wissen wir nicht einmal, was eigentlich unser Ziel sein wird. Schaffen wir es vielleicht bis zur belarussischen Grenze? Die Richtung dafür stimmt schonmal.

Erst seit kurzem sind der Ranger und der L200 mit CB-Funkgeräten ausgestattet. „In 200 Metern links“, „zurücksetzen“ oder „Tankstelle in 500 Metern“ schallt es durch die Funken und damit direkt in die Fahrerkabinen. Mit Freude amüsieren wir uns an diesen, für uns neuen Apparaten, die das gemeinsame Fahren so viel einfacher und schöner machen.

Hoch droben und untertage

Sonntag 27. Juni 2021

Im Raum Wałbrzych (dt. Waldenburg) stoßen wir auf der Suche nach einem Stellplatz mit erfrischender Dusche auf Roberts Campingplatz. Nach dem ersten Blick auf die verdreckten Fahrzeuge weiß er auch schon den richtigen Platz für uns. „This is the perfect spot“, deutet er auf eine rund 30 Meter hohe Anhöhe, deren Zufahrt für Wohnmobile und Vans ohne Allradantrieb kaum zu erklimmen scheint. Nach steiler Auffahrt stehen wir hoch oben über dem Campingplatz und genießen ein kühles Bier zu weiter Aussicht. Erst an diesem zweiten Abend unserer Tour, kristallisiert sich auch unser Reiseziel heraus: Bis zum Dreiländereck Ukraine, Weißrussland, Polen soll es gehen. Zunächst gefällt es uns hier aber so gut, dass wir uns entscheiden, eine weitere Nacht bei Robert zu verbringen.

Robert, Polen im Juni 2021
Der L200 mit Markisenzelt
Ranger auf Roberts Hochebene – geschlafen wird unter der 270° Markise

Bei bestem Wetter durchstreifen wir am Folgetag die Region, wobei wir den Ranger zurücklassen – der Umwelt und meiner Faulheit zuliebe. Wałbrzych vorbeiziehende Fassaden sind in die Jahre gekommen, welche wir schnell hinter uns lassen. Schloss Książ, das so anmutig über die Wälder ragt, ist unsere erste Station. Angeblich sollte dieses Schloss, welches damals noch „Fürstenstein“ hieß, ein Teil der unterirdischen Anlagen des Komplexes „Riese“ werden. Das dritte Reich begann mit den Bauerarbeiten 1943, wobei im Eulengebirge an mehreren Stellen Stollen in das Gneis-Gestein getrieben wurden. Zahlreiche Zwangsarbeiter und Internierte wurden hierfür herangebracht. Einige dieser Stollen sind heute für die Öffentlichkeit geöffnet. Führungen erzählen von ihrer Geschichte. Den Abstieg in die alten Gewölbe konnten wir uns natürlich nicht nehmen lassen und haben die beklemmende Atmosphäre für eine Zeit lang auf uns wirken lassen.

Schlesischer Regen

Mittwoch 29. Juni 2021

Wałbrzych liegt hinter uns. Es folgen grüne Graslandschaften, weite Felder und eine besondere SMS: „Alert RBC!“. Schwere Unwetter sind angekündigt. Am Abend erreichen wir die Gegend um Opole, wo neben den polnischen auch Deutsche Ortsnamen ihren Platz auf den blechernen Ortsschildern finden. Hier existiert noch heute eine deutsche Minderheiten. „Um Oppeln durften einige Deutsch-Schlesier bleiben“, erzählt uns Jens. Seine Frau Iwona ergänzt: „Jedoch wurden meine Vorfahren sehr rasch „polonisiert“. Jens stammt eigentlich aus dem Oderbruch, lernte Iwona an der Uni kennen und folgte ihr nach Polen. Hier, in der ländlichen Gegend um Opole führen sie einen Biobauernhof und bieten zudem einige Gästezimmer auf dem eigenen Hof an. Angesichts des herannahenden Sturms nehmen wir das Angebot, uns in den Zimmern einzuquartieren, gerne an. So verproviantieren wir uns zwischen Stallungen, pickenden Hühnern und Feldarbeitsgerät am Grill, ehe sich das Firmament bedrohlich verdunkelt.

Persönlicher Buchtipp:

Dieses gut 300 Seiten starke Buch beleuchtet die Geschichte der Deutschen im Osten Europas. Sowie ihre Rolle als Eroberer, Siedler und Vertriebene. Es hat mir auf meinen Reisen durch Polen, Ungarn und dem Baltikum geholfen, die Geschichte der deutschen Minderheiten besser zu verstehen.


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Am Morgen ziehen wir weiter. Das Groß des Sturms ist vorüber, doch nachlaufende Regenschauer gehen dennoch immer wieder über uns nieder. Durchfahren wir eine der vielen Pfützen, so explodieren sie regelrecht zu anthrazitfarbenen Wolken. Viele Holzhäuser und kubische Backsteinhäuser mit flachen Schrägdächern treten nun in Erscheinung. Immer häufiger lösen Blechdächer die geziegelten ab. Es scheint, als haben wir das polnische Kernland erreicht.

Ostwärts der Weichsel

Donnerstag 01. Juli 2021

Im Örtchen Kłudzie stoßen wir auf die Wisła (dt. Weichsel), deren dunkles Wasser bis hoch in die Danziger Bucht mäandriert. Da die kleinen Autofähren außer Betrieb sind, überbrücken wir den Fluss weiter nördlich bei Puławy. Piste für Piste und Straße um Straße arbeiten wir uns weiter gen östlicher Landesgrenze vor. Mit der untergehenden Sonne kehren wir bei Mateusz ein, der während der Sommermonate ein kleines Restaurant mit angehängtem Stellplatz führt. Da wir die einzigen Gäste sind, nutzen wir die Gelegenheit, mehr über das Land und die Sprache zu lernen. Das dieser Abend lang wird, weiß ich in dem Augenblick als Mateusz uns freudig sein Spezialbier kredenzt. Ob wir morgen überhaupt in der Lage sein werden zu fahren? Was solls, na zdrowie!

Acht Stunden bis Deutschland

Freitag 02. Juli 2021

Mit dem ersten Hahnenschrei verlasse ich das Feldbett, während Vaddern immer noch ruht. Der gestrige Abend war lang, fröhlich und erkenntnisreich. Ein paar neue polnische Wörter fanden Einzug in mein Sprachrepertoire. Denn wir kommunizierten in einer Mischung aus englischen, polnischen und deutschen Sprachbrocken. So ging es um die aktuellen polnischen Charts, Offroad-Abenteuer und das örtliche Mikroklima, das durch den nahen Krasne See entsteht. Es wurde gesungen, gelacht und sehr viel getrunken. Entsprechend verschleiert sind meine Erinnerungen. Mateusz – ein Baum von einem Kerl – ist schon auf den Beinen und lässt sich nichts anmerken. Ich leiste ihm bei einem türkischen Kaffee Gesellschaft.

Mateusz, Polen im Juli 2021

Spät am Nachmittag schält sich Vaddern auch endlich aus dem Schlafsack. Wir verabschieden uns von Mateusz und erreichen in der Abendsonne die Grenzstadt Wlodawa. „Schaut, dass ihr auf einen Kirchturm gelangen könnt“, riet uns Mateusz noch bei Abfahrt. Jedoch ist gerade Kirchenmesse und so verwerfen wir den Plan, schwenken nach Süden, und erreichen in kürzester Zeit das Dreiländereck. Hier trennt das grüne Wasser des Flusses Bug Polen von Belarus und der Ukraine. Angler, Kajakfahrer und Motorradfahrer genießen die abendsommerliche Szenerie. Doch über dem grünen Idyll droht erneut ein bleierner Himmel. Drüben in Belarus scheint sich eine Gewitterfront zusammen zu brauen.

Der Fluss Bug trennt hier Polen von Weißrussland und der Ukraine

Von hier aus sind es rund acht Stunden bis nach Hause. Ausgeschlafen und unser Ziel erreicht, beschließen wir die Heimreise anzutreten. Die Ausläufer von Warschau erreichen wir am späten Abend. Das Gewitter grummelt im Rückspiegel. Nun folgt ein monotoner Ablauf entlang der Autobahn nach Westen: Mautticket ziehen, bezahlen, Senderwechsel, Spur wechseln, Tempomat nachstellen. Lodz zieht an uns vorbei und spät in der Nacht Posznan. „Noch hundertachtzig bis Grenze!“ rauscht es durch das Funkgerät. „Dobrze!“ ist mittlerweile die erste Antwortwahl. Dann, gegen 3 Uhr in der Nacht, leuchten die weißen Buchstaben auf blauem Grund im Scheinwerferlicht auf: „Bundesrepublik Deutschland“.

Fazit: Der polnische Süden hält einiges an unbefestigten Wegen für den geneigten Allradler bereit. Gerade in den Sommermonaten ist Schlesien eine gute Alternative zu der verhältnismäßig belebten Ostseeküste. Die Region bietet eine interessante Mischung aus Deutsch-Polnischer Geschichte, großartigen Pisten, Architektur und freundlichen Menschen. Wir werden wiederkommen.

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