Die Überreste des einstigen Atlantikwalls durchziehen noch heute die dänische Küstenlandschaft. Im Herbst 2021 machten wir uns per Allrad Tour auf nach Dänemark, um die Bunker auf abenteuerlichen Pisten zu erkunden. Wetter und Meer setzten dabei nicht nur uns, sondern auch den Fahrzeugen zu.
Bunker am Gestade
Hier am Strand der Insel Rømø umgibt uns ein einziges bleiernes Grau. Wo das Meer endet und der Oktoberhimmel beginnt, ist kaum auszumachen beim Start unserer Overland Tour in Dänemark entlang des Atlantikwalls. Besonders mutige SUV-Fahrer – die, die keine Angst vor Unterbodenrost haben – lassen das von der Flut zurückgelassene Salzwasser spritzen. Andere Urlaubsgäste flanieren entlang des Spülsaums oder sitzen bei ihren Wohnmobilen. Etwas abseits vom Trubel genießen Vaddern und ich einen dampfenden Kaffee, angelehnt an die Ladefläche des Mitsubishi L200.
In unseren Rücken tanzt das Dünengras im auflandigen Wind, dazwischen verbergen sich die betonierten Ruinen der einstigen „Stützpunktgruppe Rømø“. Die Dänen nennen sie auch „Betonkadaver“, Fachleute hingegen sprechen von Regelbau, Ringstand oder Doppelgruppen-Unterstände. Es sind die Überreste des einstigen Atlantikwalls, stumme Zeugen der Besetzung Dänemarks durch das nationalsozialistische Deutschland zwischen 1940 und 1945. Kampfhandlungen am dänischen Teil des Atlantikwalls gab es jedoch nicht, der einzige Durchbruch gelang in der französischen Normandie. Dort haben die Westalliierten 1944 im Rahmen der „Operation Overlord“ eine zweite Front gegen das Dritte Reich errichtet.
Unser Ziel ist die Landspitze oberhalb Skagens, wo Kattegat und Skagerrak aufeinandertreffen. Noch sind wir rund 600 Pistenkilometer entfernt davon. Unsere Absicht für die kommenden Tage ist es, so viel wie möglich über den einstigen Atlantikwall in Dänemark zu erfahren. Der Kaffee ist nun getrunken, die Bäuche sind von innen gewärmt und die Fahrzeuge startklar – los geht’s in Richtung Atlantikwall.
Überland in Dänemark entlang des Atlantikwalls
Ob Feldweg, Sandstrand, Wattstraße oder Panzerpiste: Auf vielfältigen Untergründen bahnen wir uns einen Weg gen Norden. So folgen wir hinter Houstrup einer schmalen Asphaltstraße durch die vom Nebel eingehüllte und von Regelbauten gespickte Dünenlandschaft. Zwischen Ejstrup Strand und Lokken gelingt es uns fast 40 Kilometer auf dem Sandstrand zurückzulegen. Dabei passieren wir mehrere Bunker, Stützpunkte und einen überbrückten Priel. Unglücklicherweise war die Brücke auf der gegenüberliegenden Seite unterspült. Der Ranger ist abgesackt, aber gerade so durchgekommen – nur Fidel und ich werden aufgrund des offenen Seitenfensters mit Wasser geduscht!
Ein weiteres Highlight unserer Overland Tour durch Dänemark ist die Wattstraße zwischen Festland und der Insel Mandø. Nach dem Studieren des Tidenkalenders bahnen wir uns bei ablaufendem Wasser unseren Weg durch das trocken liegende Watt. Regen, Wind und Nebel sind auf der ganzen Tour unsere ständigen Begleiter. Stets sind wir damit beschäftigt unsere Sachen trocken zu halten. Ob Schuhwerk, Dachzelt oder Jacke, alles ist klamm und mit feinen Salzsprenkeln überzogen. Logistisch scheint dies die größte Herausforderung dieser Exkursion zu sein. Auch an den Fahrzeugen hinterlässt das Salzwasser seine Spuren.
Stellplätze finden wir auf unserer Reise genug. Wobei uns der bei Borsmose besonders zusagt. Weitab von der Zivilisation stehen wir zwischen den Dünen im Windschatten. Über den Dachzelten peitschen die Böen über die Dünenkämme hinweg. Dazwischen steht ein abgerutschter Infanteriebunker, der scheinbar zu kippen droht, aber vermutlich schon seit vielen Jahren so steht. An Tagen mit zu starkem Wind greifen wir jedoch auf feste Behausungen zurück.
Per Allrad durch die dänische Geschichte
Natürlich geht es uns nicht nur ums Abfahren der Strecke, im Gegenteil, wir wollen mehr zur Geschichte des Atlantikwalls lernen. Und so lassen wir die Fahrzeuge regelmäßig zurück und begeben uns, weil oft auch nicht anders möglich, zu Fuß zu den verlassenen Stützpunkten. Ausgestattet mit Kopflampen und festem Schuhwerk geht es dann auf Exkursion. Bücher und Notizen in den Taschen geben Aufschluss über Bauart und Verwendung der Betonriesen: Artilleriebunker, Sanitätsbunker, Panzergraben und Panzerwall weiß mein Notizbuch dank akribischer Vorbereitung. Solche Erkundungen wie wir sie bereits an der Molotov-Linie und in Tschechien erlebt haben, sind allerdings nicht ungefährlich. So achten wir auf jeden unserer Schritte, helfen uns gegenseitig und umgehen vorsichtig hervorstehende Armierungseisen oder ungesicherte Schächte im Sand.
An Tag 3 unserer Offroad Tour in Dänemark entlang des Atlantikwalls, stoßen wir nördlich des Ringkøbing Fjord auf die Überreste der einstigen Festung „Houvig“, bestehend aus der Batterie „Kryle“ und der Radarstation „Ringelnatter“. Das interessante hier: 2008 legte eine Sturmflut einen im Sand verschütteten Mannschaftsbunker frei. Darin befanden sich, ähnlich einer Zeitkapsel, die Gebrauchsgegenstände der einstigen Besatzung. Erstaunlicherweise gelang es den Dänen einen dieser deutschen Soldaten ausfindig zu machen. Gerhard Saalfeld versah hier von 1944 bis 1945 seinen Dienst bei der Heeresküstenartillerie. Das Innere des wiederentdeckten Bunkers vom Typ R501 wurde daraufhin im Museum Ringkøbing nachgebaut und ist in jedem Fall einen Besuch wert.
Tags darauf, bevor wir die Fähre über den Thyborøn Kanal nehmen, erkunden wir noch die Reste des nahen Festungsareals. In und um das gleichnamige Fischerdorf wurden damals Heeres-, Marine- und Luftwaffeneinheiten stationiert. An Planung und Bau wirkte auch der dänische Architekt Poul Morell Nielsen mit. Er entwarf Tarnfassaden in Häuserform und ließ Bunker mit Dachziegeln bestücken, um die Alliierte Luftaufklärung zu täuschen. Was die Deutschen jedoch nicht wussten: Poul, auch genannt der „Schildkrötenspion“, gab sämtliche Baupläne an den dänischen Widerstand weiter, womit diese schlussendlich auch bei den Alliierten landeten. Sein Name kommt nicht von ungefähr: Seine detaillierten Skizzen markierte er stets mit einer Schildkröte mit Pfeife. Überbleibsel seiner Arbeit sind noch heute sichtbar.
Persönlicher Buchtipp:
Das 160 Seiten starke Buch „Der Atlantikwall von Nymindegab bis Thyborøn“ klärt über die Stützpunkte und Festungen zwischen den genannten Orten auf. Dabei wird genauer auf Konstruktion und Verwendung der Bunker eingegangen. Ergänzt wird das Buch durch Zeichnungen, Originalaufnahmen und Karten. Das vermittelte Wissen kann ebenso auf andere Atlantikwall-Stützpunkte in Dänemark angewendet werden.
Zudem berichtet es über die „kleinen Schicksale“ am Rande des Atlantikwalls. Darunter über den Schildkrötenspion und aufständische Osttruppen.
ISBN: 9788785092427
Der Atlantikwall in Dänemark Heute
Einige der einstigen Stützpunkte sind aufgrund der Küstenerosion bereits im Meer verschwunden. Andere hingegen versinken langsam, aber sicher im Sandstrand, in dessen Dünen sie einst gegossen wurden. Der Wind bläst die feinen Körner unablässig gegen ihre Fassaden, an denen sie sich sammeln – dadurch entsteht der Eindruck, als ob der Strand sie Stück für Stück verschlingt und so seinen sandigen Mantel über die Erinnerungen dieser Zeit legen will. Entlang der gesamten Küste haben sich diverse Museen mit verschiedenen Schwerpunkten angesiedelt, viele davon behandeln grundsätzlich die Besetzungszeit. So z.B. das Bunkermuseum in Hanstholm. Einst wurden hier 38 cm Schiffsgeschütze installiert, die zusammen mit der gleichbewaffneten Batterie im norwegischen Kristiansand den Eingang zum Skagerrak sperren sollten. Neben Informationen zu der Bewaffnung geben die Museen einen Einblick über den Alltag der Soldaten und informieren über den Bau der Bunker durch Zwangsarbeiter.
Auch Künstler entdecken die Betonkadaver für sich: So wurden die Bunker bei Blavand mit blechernen Maultierköpfen und -schwänzen verziert. Nahezu bewusst scheinen sie ins Meer zu wandern und symbolisieren damit den Abzug des Krieges aus Dänemark. Zudem dienten die Bunker des Atlantikwalls als Filmvorlage für das Kriegsdrama „Unter dem Sand“. Dieser Film porträtiert, wenngleich versehen mit künstlerischer Freiheit, die Räumung von Minen nach dem 2. Weltkrieg durch deutsche Kriegsgefangene. Einige Bunker befinden sich heute in Privatbesitz und werden als Lager für Material oder Heu verwendet. Andere wiederrum werden einfach sich selbst überlassen.
Das Ende unserer dänischen Allrad Tour: Landspitze voraus
Nach sechs Tagen erreichen wir Skagen. Erstmals zeigt sich die Sonne und taucht die Küste in ein freundlicheres Licht. Das Bunkermuseum in einem ehemaligen Regelbau 638 ist die letzte Station auf unserer Reise. Er gehörte einst zum Infanteriestützpunkt „Hamburg“. Hier, wo ehemals schwere Geschütze, Maschinengewehre, Stacheldraht und Bunker die Küste sichern sollten, zeugen heute mit Softeis oder Smartphone herumschlendernde Spaziergänger von einer friedvolleren Zeit. Gerne reihen wir uns mit Eiswaffeln und Kaffee in die Schar ein. Sogar ein kleiner dicker Seehund sonnt sich auf der schmalen Landzunge voraus. Diese markiert den Abschluss des Walls in Dänemark und damit auch das Ende unserer Allrad-Exkursion. Irgendwo drüben, 150 Kilometer Luftlinie entfernt, setzte sich der Atlantikwall an der norwegisch-schwedischen Grenze bis hoch an die Barentssee fort. Uns bleiben noch zwei Tage für die Rückreise. Zeit, die wir nutzen, um das Gesehene zu verstehen und einzuordnen.
„Beindruckend fand ich den Anblick der Batterie I in Hanstholm. Mindestens ebenso spannend war der Fakt das sich das Meer nach nun mehr 80 Jahren bis zu 100 Meter der Küste einverleibt hat. Das konnte man an den im Meer versunkenden Bunkern sehr gut erkennen.“
Vaddern
Mir gefielen die Strandfahrten in Kombination mit den Bunkerexkursionen am besten, das war wirklich mal was anderes!
Mario
Fazit: Eine Offroad Tour durch Dänemark entlang des Atlantikwalls bietet nicht zuletzt aufgrund verschiedener Streckenverhältnisse die perfekte Mischung aus Fahrspaß, Geschichte und Abenteuer. Viele intakte und zugängliche Bunker an der Küste und im Hinterland sorgen für reichlich Exkursionsmaterial. Abgerundet wird die Route durch schöne Dünenstellplätze und interessante Museen. Meine Empfehlung für eine Reise, insbesondere aufgrund der dann möglichen Strandfahrten, wäre wohl der Herbst oder das Frühjahr.
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