4×4-Exkursion: Offroad Tour entlang der innerdeutschen Grenze

Die Geschichte vor der eigenen Haustür kann manchmal abenteuerlicher sein als das, was uns in der Ferne erwartet. Im Frühjahr 2021 bestimmen Pandemie, Reisebeschränkungen und Winterwetter das Reisen. Ein guter Zeitpunkt also, um sich auf eine Offroad Tour durch Deutschland zu wagen.

Grenzland per Allrad entdecken

Ein tiefhängender Märzhimmel bedeckt das elbische Dörfchen Schnackenburg. Auf dessen menschenleeren Marktplatz gehen Vaddern und ich die vor uns liegende Route der Offroad Tour durch. Heute noch bis Höhe Wittingen fahren, morgen weiter nach Helmstedt, dann gen Harz und von da aus dem heutigen Grenzverlauf Thüringens folgend. Danach geht es weiter bis an die tschechische Grenze. Macht in etwa 1200 Kilometer Fahrstrecke. Die Idee zur Grenztour schwirrt schon seit einiger Zeit durch meinen Kopf, und so ruht das prall gefüllte Dossier mit möglichen Streckabschnitten, wertvollen Kontakten sowie interessanten Standorten neben der passenden Literatur auf meinem Rücksitz. Was ist noch übrig vom einst bekannten „antifaschistischen Schutzwall“? Und wie sieht so ein Grenzturm eigentlich von innen aus?

1961 begann die Deutsche Demokratische Republik damit, die Grenze zu Westberlin und Westdeutschland abzuriegeln.  Die zunehmende Ausreise von DDR-Bürgern gen Westen wurde somit unterbunden. Bis zum „Mauerfall“ im Jahr 1989 wurde die Anlage kontinuierlich weiterentwickelt, wobei auch Minen und Selbstschussanlagen installiert wurden.

Aktuell prägt die Pandemie nicht nur das Leben, sondern auch das Reisen. Unterkünfte und Museen sind geschlossen, die Straßen sind leergefegt und das Winterwetter lässt auch die größten Outdoor-Fans lieber daheimbleiben. Doch wir wollen den Umständen trotzen und sind uns sicher: Je weniger Menschen unterwegs sind, desto entspannter sollten die Fahrten und das Erkunden des innerdeutschen Grenzwalls werden. Mein Bruder Herms und ich bemannen den Ford, Tilman und Vaddern den Mitsubishi L200. Die Motoren starten, weißer Wasserdampf umhüllt unsere Hecks in der kalten Winterluft und die Navigationsgeräte laden träge den ersten Tourenabschnitt. Im Rückspiegel blitzt es kurz auf, der L200 scheint einsatzbereit zu sein und es beginnt: Die Grenztour.

Blick aus einem alten Grenzturm

Offroad Tour: Unterwegs an der einstigen Grenze

Die Pickups ächzen über die Platten des einstigen Kolonnenwegs, denn einige der Lochbetonplatten haben sich mit der Zeit aufgestellt oder sind abgesunken. So gilt es die klaffenden Furchen so gut wie möglich zu umfahren oder mit fahrerischem Geschick zu bezwingen. Vereinzelt ziehen verblichene Grenzpfähle an uns vorbei. Ihre Metallembleme fehlen, ein beliebtes Souvenir, haben wir in unserer, der Tour vorausgegangenen Recherche, herausgefunden. Bis 1989 patrouillierten hier noch Trabant, Robur und Co. der DDR-Grenztruppen. Heute jedoch sind es zum Glück nur noch Traktoren oder Geländewagen von Jägern. Oder eben die Offroad-Fahrzeuge von Allradabenteurern.

Ja, es ist zeitweise möglich legal auf dem ehemaligen Kolonnenweg zu fahren. Dies ist aber wirklich nur der kleinste Teil der Strecke. Ansonsten greifen wir auf kleinere Nebenstrecken, und wo möglich auf Feldwege zurück – so passieren wir ganze 48-mal die ehemalige innerdeutsche Grenze auf unserer zehntätigen Reise. Doch Obacht, dieser Plattenweg hat es zeitweise in sich. Kai berichtete mir einst von seiner Misere und auch ich werde nicht verschont: Der Ranger rutscht von den schmierigen Betonplatten und schafft es aus eigener Kraft nicht zurück auf die steil ansteigende Spur. Ganz schön übles Gefühl, der Plattenweg ist echt nicht ohne! Wir unterfüttern also das Hinterrad und setzen die Winde ein, zum Glück sind wir mit mehreren Fahrzeugen unterwegs. Den Rest des Anstiegs wird mein Fahrzeug also gezogen.

Der Witterung zum Trotz

Die Kälte ist auf der Offroad Tour unser ständiger Begleiter. Kalte Füße, angefrorene Schlafsäcke und verschnupfte Nasen gehören von Tag eins zum Tagesgeschäft. Aber das haben wir erwartet, schließlich sind für die ganze Tour ausschließlich Temperaturen rund um den Gefrierpunkt angesagt. Was hilft und motiviert ist ein gutes Abendbrot: Wenn das Land abends in Schnee oder Nebel gehüllt wird, kredenzt Herms für uns nostalgische DDR-Rezepte, wie etwa Jägerschnitzel mit Nudeln und Tomatensauce.

Im weiteren Verlauf der Reise fragen wir immer wieder in den ehemaligen Grenzdörfern nach Übernachtungsplätzen. Zunächst skeptisch wird uns nach kurzer Beschreibung unseres Unterfangens meist freundlich bis euphorisch ein Tipp gegeben oder sogar ein Privatgrundstück zur Verfügung gestellt. Meistens kommt an dieser Stelle der Allradantrieb zum Einsatz, denn Schnee, Matsch und aufgeweichte Wiesen gilt es zu überwinden, um an die guten Plätze zu gelangen. Und nebenbei erfahren wir von unseren Gastgebern interessante Geschichten zur Grenze.

Während unserer Offroad Tour bot Dirk uns seine Waldlichtung für die Nacht an und leistet uns am Abend gern Gesellschaft. Hier sitzen wir nun, dick eingepackt, unter der Markise am Ranger. Dirk schildert uns seine Sichtweise als westdeutscher Grenzbewohner auf die damalige Grenze. Für ihn hatte sie Vorteile: So galt diese Region aufgrund der Grenznähe als strukturschwach und wurde finanziell unterstützt. Ich kann ihm seine Sichtweise nicht wirklich verübeln, auch wenn sie sicher kritisch in den geschichtlichen Kontext eingeordnet werden darf. Bis heute haben wir die Grenze 12 mal passiert.

Tagebucheintrag: Irgendwo bei Wittenberg, am Abend des 10. Februars 2021

An Tag sechs gelingt es uns, auf dem ehemaligen Todesstreifen zu übernachten. Ein mulmiges Gefühl begleitet uns, während wir die Fahrzeuge das letzte Stück langmanövrieren. Erst vor ein paar Jahren wurde hier eine alte Mine ausgegraben. Wie wir dies möglich machen konnten? An der Grenze zwischen Thüringen und Niedersachsen hat Fredi einen Grenzturm samt Grundstück erworben. Nach der Führung durch den liebevoll restaurierten Beobachtungsturm zeigt er uns sein nahes Lager, welches versteckt zwischen ein paar Bäumen liegt. Damals befand sich hier Stacheldraht und der Schutzstreifen, heute sind es Köhlerhütte, Feuerstelle und genug Brennholz für die Nacht.

Die Grenze zum Anfassen

Mit fortschreitender Kilometerzahl tauchen wir immer tiefer in die Geschichte der ehemaligen Grenzanlage ein: Zwar sind die Türen der Museen geschlossen, jedoch gibt es viele Freilichtanlagen, wie die bei Zicherie. Hier kann man die verschiedenen Ausbaustufen der Grenze von ihrer Errichtung im Jahre 1956 bis zum Mauerfall im Jahre 1989 sehr gut nachvollziehen. Dazu stoßen wir neben den offiziellen Grenzmuseen und Lehrpfaden auch auf die Überreste geschleifter Dörfer, die dem Grenzbau im Weg standen. Ihre Bewohner wurden u.a. im Rahmen der Aktion „Ungeziefer“ umgesiedelt.

Ebenso erinnern regelmäßig Schilder an die unzähligen Mauertoten, die auf der Flucht ihr Leben ließen. Interessant ist auch die grenznahe Abhörstation Bergmoor, deren zerfallene Gebäude noch immer einen verblichenen Tarnanstrich aufweisen. Die Ortsansässigen nennen es „Cafe Moskau“ und berichten, dass der Antennenturm schon vor Jahren gesprengt wurde. „Von dort hörten die Sowjets die Manöver drüben in der Lüneburger Heide ab“, erinnert sich einer von ihnen.

 „Nachts erschien die Grenze taghell, so viel Lichter waren da“, sagt der alte Landwirt, während er mit seiner, von der Arbeit gezeichneten Hand zum ehemaligen Grenzverlauf deutet. „Braucht ihr noch Feuerholz gegen den Nachtfrost?“, erkundigt er sich. Wir nehmen dankend an und lauschen weiter seinen Geschichten von damals.

Tagebucheintrag: Philippsthal am Abend des 23. Februars 2021

Persönlicher Buchtipp:

In dem 198-seitigen Buch beschreibt Werner Schwanfelder 89 verschiedene Erinnerungsorte entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Erklärungen zu den Orten werden durch anschauliche Bilder ergänzt. Zudem gibt Schwanfelder Tipps zu nahen Lokalen und Sehenswürdigkeiten. Dieses Buch hat mir sehr dabei geholfen unsere Tour vorzubereiten, da ich so bereits im Vorwege für uns spannende Streckenabschnitte festlegen und interessante Sehenswürdigkeiten in die Routenplanung aufnehmen konnte.


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Die Grenze heute

32 Jahre liegt der Mauerfall nun zurück. Die einstige Teilungslinie zwischen zwei Systemen und Weltanschauungen verblasst zunehmend – sowohl in den Köpfen der Menschen wie auch in der Landschaft. In den neunziger Jahren wurde ein Großteil der Grenzbefestigungen abgerissen. Umweltschützer setzten sich schon früh dafür ein, das einstige Areal dem Naturschutz zukommen zu lassen. So entstand aus einer Initiative des Natur- und Umweltschutzverbands BUND das “Grüne Band“ – ein Gürtel von Travemünde bis nach Hof, bestehend aus Naturschutzgebieten, Nationalparks, Biosphärenreservaten und Natura-2000 Flächen, das bis heute das größte gesamtdeutsche Naturschutzprojekt verkörpert.

Nicht geschleifte Grenzanlagen wurden in Museen oder Freilichtanlagen konvertiert, als Orte der Erinnerung und gegen das Vergessen. Auch Regisseure entdecken diese Anlagen als Kulisse für sich. So diente Mödlareuth als Drehort für die mehrteilige ZDF-Produktion „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ und der Landkreis Eichsfeld als Kulisse für das Fernsehdrama „An die Grenze“. Das Thema „innerdeutsche Grenze“ scheint noch immer Relevanz zu haben, wie etwa folgender Trailer zeigt:

Ziel der Tour: Dreiländereck

Fuhren wir die vergangenen Tage zumeist durch ein graues Deutschland mit Schnee, Nebel und Regen, taucht am letzten Tag unserer Reise unerwartet die Sonne das Land zwischen Sachsen und Bayern in ein freundliches Licht. Nun kommen auch die ersten Spaziergänger, Radfahrer und Jogger in reflektierender Funktionskleidung aus ihren Häuschen zurück in die Natur.

In einer bewaldeten Niederung stoßen wir endlich auf den Dreiländerstein, Tag zehn unserer Offroad Tour ist erreicht. Es ist interessant zu beobachten, dass der Kolonnenweg noch einige Kilometer entlang der tschechischen Grenze gen Osten führt. Es wäre wohl sonst ein leichtes gewesen von der DDR über die Teschechoslowakische Sozialisistische Republik in die BRD zu gelangen. Der Grenzstein markiert das Ende der innerdeutschen Grenze und damit auch unserer Reise. Damals stand er für die Tschechoslowakei, die DDR und die BRD. Heute hingegen für Bayern, Sachsen und Tschechien.

Mir gefiel besonders Fredis liebevoll restaurierter Grenzturm mit dem angehängten Nachtlager.

Herms

Mir hat der Austausch mit den grenznahen Bewohnern besonders gefallen. Die verschiedenen Sichtweisen und Zeitzeugenberichte haben mich einfach sehr beeindruckt.

Tilman

Beeindruckt haben mich die schweren und umfangreichen Sicherungsmaßnahmen an der damaligen Grenze, die Ausstellungen haben das gut vermittelt. Aus Fahrersicht hat mich die etappenweise Steilheit des Kolonnenwegs am meisten gefordert.

Vaddern

Fazit: Eine Route entlang der einstigen innerdeutschen Grenze ist definitiv ein geschichtlich wertvolles Unterfangen, leider sind die Offroadmöglichkeiten jedoch stark begrenzt. Zwar gelingt es zeitweise den Kolonnenweg zu nutzen, der Großteil der Fahrt spielt sich jedoch auf kleineren, asphaltierten Nebenstrecken ab. Dafür wartet die Grenztour mit historisch wertvollen Stellplätzen abseits des Mainstreams auf. Erfahrungsgemäß gerade dann, wenn man sich mit den örtlichen Bewohnern unterhält und austauscht.

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