Im Sommer 2020 breche ich mit zwei Freunden erstmals auf eine Overland-Tour durch das kroatische Hinterland auf. Unterwegs stoßen wir auf die Spuren des Unabhängigkeitskrieges, suchen ein Wrack und bezwingen steile Offroad-Passagen.
Aufbruch in die Krajina
Freitag, 31. Juli 2020
Der Ranger rattert über die erste von vielen Schotterpisten. Wie ein Komet zieht er einen langen Schweif aus feinen Staubpartikeln hinter sich her. Mit an Bord sind Mark und Guntram, beides alte Seatrekking-Kollegen von mir. Minenschilder säumen den Weg, Häuser weisen Einschüsse unterschiedlicher Kaliber auf und im Gras modern alte Hilfsgüterverpackungen des Roten Kreuzes. Große Tafeln der Europäischen Union mit Informationen zu Wiederaufbauprojekten und Minenräumung verlieren sich im Rückspiegel. Uns begegnen kaum ausländische Fahrzeuge und wenn, dann sind sie auf dem Weg zur gut ausgebauten Adriaregion. Küste und Krajina – ein Kontrast, der nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegt.
Hier im Hinterland wirken viele der vorbeiziehenden Häuser gespenstisch: Dachstühle sind zusammengebrochen, Türen und Fenster fehlen oft gänzlich. Viele Serben haben dieses Gebiet bereits zum Kriegsende verlassen und in der Provinz ist noch immer der kalte Atem des Heimatkrieges spürbar. Als Seatrekker lockte uns bisher vor allem die kroatische Küstenregion mit ihren unzähligen Inseln. Doch dieser Besuch ist anders: Es ist Juli und wir meiden die Küste, stattdessen widmen wir uns dem weniger überlaufenen Hinterland.
In der Gespanschaft Lika-Senji sind auch 25 Jahre nach dem Krieg noch ca. 140 km² Erdboden mit Minen und Blindgängern verseucht. Vor Reiseantritt ist es also empfehlenswert sich mit der derzeitigen Minenlage in Kroatien vertraut zu machen. Als wir am zweiten Tag unser Lager irgendwo in der Wildnis zwischen Lički Osik und Bunić aufschlagen, achten wir darauf, die ausgetretenen Wege nicht zu verlassen. Nicht alle Minengebiete wurden damals kartographiert und entsprechend geräumt.
Unterwegs im Hinterland
Sonntag, 02. August 2020
Wir erreichen Knin, die ehemalige Hauptstadt der Republik Serbische Krajina. Über ihren Dächern hängen schwere, anthrazitfarbene Gewitterwolken. Am Stadtrand schlagen wir unser Lager nahe eines ausgetrockneten Arms der Krka auf. Der Ranger verfügt seit kurzem über ein Hardtop, welches bei der ganzen Tauchausrüstung auch dringend erforderlich ist. Zudem konnte ich mir für die Urlaubszeit „Vadderns“ Heckzelt ausleihen. So sitzen wir zwischen grünen Berghängen und dem Flussbett der Krka am knackenden Lagerfeuer und beobachten das in der Ferne niedergehende Gewitter. Als wir später satt und zufrieden in unseren Kojen liegen, mischt sich Gebell, Winseln und Kläffen unter das Rauschen der Blätter. Streunende Hunde scheinen Beute im Flussbett gestellt zu haben. Plötzlich verstummen sie. Was bleibt, sind die Geräusche des Windes.
Tags darauf erkunden wir abwechselnd zu Fuß oder mit dem Fahrzeug das unweit gelegene Dinarische Gebirge. Dabei stoßen wir auf zerstörte M36- und T55-Panzer. Damals Kolosse, die bei Dubrovnik, Medak, oder Knin kämpften. Heute dienen sie höchstens noch als Hartziele für Gefechtsschießen – und als Mahnmal für vergangene Zeiten. Heckteile von Panzerabwehrgeschossen säumen ihr Umland, tiefe Furchen klaffen in ihren massiven Stahlkörpern.
Für ein paar Tage lassen wir auf einem abgeschiedenen Campingplatz nahe des Peruća-Sees die Seele baumeln. Für mich ist es gerade bei längeren Touren wichtig, das Auto auch mal einen Tag stehen zu lassen. Wir erkunden das Umland zu Fuß oder schnorcheln und tauchen im See. Zu gern genehmigen wir uns außerdem einen Mittagschlaf unter den Bäumen des Campingplatzes. Dieser ist nahezu verlassen, lediglich ein niederländischer Van hat unweit von uns seinen Stellplatz gefunden. In einem kurzen Gespräch geht es um das kroatische Hinterland, die besten Offroadstrecken in Kroatien und natürlich um meine inadäquaten Reifen.
„Die Ranger ist ein sehr gutes Auto, aber diese Reifen sind es nicht!“
Unbekannter Niederländer, Peruća See im August 2020
Zähneknirschend setzte ich vor meinem inneren Auge die Reifen auf meiner Prioritätenliste nach oben. Aber mag an dieser Stelle auch vermerken: Bisher kam ich überall durch. Außerdem haben Fahrwerk, Winde und Hardtop dieses Jahr eigentlich schon genug Geld gefressen. Unterm Strich gebe ich dem Niederländer jedoch recht.
Die Küste von unten und oben
Mittwoch, 5. August 2020
Nach drei entspannten Tagen verlassen wir die Krajina und nähern uns der Küste über Split. An uns vorbeiziehende Orte laden zum Baden und Entspannen ein. Jedoch ist das nicht der Grund für den wir hier sind. Dass wir der Adria in der Ferienzeit überhaupt so nahekommen, hat einen anderen Grund: 1991 griffen serbische Erdkampflieger vom Typ „Jastreb“ kroatische Einheiten südöstlich von Šibenik an. Einer davon wurde abgeschossen, ein anderer gilt je nach Quelle als verschollen, entkommen oder abgestürzt.
Als am folgenden Morgen der Wecker klingelt, steht ein nahezu voller Mond über der noch schwarzen Adria. Heiß dampfender Kaffee und die kühle Nachtluft bringen Leben in unsere Körper. Das verschlafene Küstendorf Ražanj liegt noch in der Morgendämmerung, als wir in der Nähe ins Wasser steigen. Wenn wir die Schnorchel ausblasen, könnte man uns im Morgendunst für eine Walschule halten. Unter uns ist nichts als trübes Blau. Schuld daran ist die nahe Aquakultur, deren feine Futterpartikel wie ein Nebel im Wasser stehen. Bei den korrekten Koordinaten fangen wir abwechselnd an abzutauchen. Gespannt warten immer zwei von uns auf den dritten Auftauchenden. Und? „Nichts“, ist die übliche Antwort. Es muss hier irgendwo sein. Jetzt bin ich dran – Oberkörper runter, Flossen hoch. Drei Meter Tiefe, der Druck auf meine Maske steigt. Sechs Meter Tiefe, es wird dunkel. Neun Meter Tiefe, nichts als Schwebeteilchen und dunkles Blau. Die Sicht beträgt hier kaum mehr als zwei Meter.
Nach der Pleite vom Wrack springen wir über Schotter und Nebenstraßen von Ort zu Ort, immer parallel zur nun belebten Adria-Magistrale. Dies hat für uns drei Vorteile: Wir umgehen den zähen Ferienverkehr, haben durch die erhöhte Lage eine wunderbare Aussicht und nutzen zudem Nebenstraßen, welche zum Teil aus losem Untergrund bestehen. So erreichen wir zwar langsamer, aber entspannter die Region um Zadar, in dessen Nähe wir die Sepurine Airbase erkunden. Einstmals Kaserne der JNA, wurde sie Anfang der 90er durch die Kroaten übernommen und in Vorbereitung der Operation „Ohluja“ ausgebaut.
Persönlicher Buchtip:
Noch heute verstecken sich entlang der kroatische Küste die Überreste längst vergessener Hotels und Militärbasen. Freunden von abgeschiedenen Orten empfehle ich dafür das abgebildete Buch.
Dieses inhaltlich wie ein Roadtrip konzipierte Buch beleuchtet das architektonische Erbe der Zeit des Tourismusbooms und des Kalten Krieges an Kroatiens Küste. Bilder, Beschreibungen und Faltkarten geben Aufschluss über verfallende Hotels und Militärbasen.
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Unterwegs unter Tage
Freitag, 07. August 2020
Ab Zadar fahren wir nördlich, verbringen eine Nacht an einem abgeschiedenen Abschnitt des Novigrader Meers und fahren über Gracac bis auf Höhe der Plitwitzer Seen. Wir sind zurück in dem Gebiet der Krajina. Hier versteckt sich an der Grenze zu Bosnien ein gewaltiges Überbleibsel aus der Tito-Ära: Ende der 50er-Jahre wurde hier mit dem Bau einer Flugzeugkaverne begonnen. Ihre Codenamen war „Objekt 505“ oder „Objekt Klek“. Geschützt unter abertausenden Tonnen von Gestein wurden hier Kommandoposten, Flugzeugbereitstellungsräume, Infrastruktur uvm. in den Berg hinein gebaut. Die massiven Betoneingänge stehen heutzutage offen. Im Inneren ist es kühl, irgendwo tropft Wasser auf Beton. Unsere Lichtkegel wandern über Schutt, alte Filmbänder und ausgebrannte Fahrzeuge. Aus dem Bauch des Berges starteten im Heimatkrieg MiG-Kampfjets, um Ziele in Slowenien und Kroatien anzugreifen. Später wurde das Objekt samt Landebahnen von der JNA gesprengt, um es für die Kroaten unbrauchbar zu machen.
Persönlicher Buchtip:
Dieses 64-seitige Heft beinhaltet neben Lagekarten und unzähligen Fotografien auch die Chronologie der Kaverne. Beginnend von ihrem Baubeginn Ende der 50er-Jahre bis zu ihrer Sprengung Anfang der 90er-Jahre. Ergänzt wird das Werk durch Illustrationen der hier eingesetzten MiG-21-Varianten und stationierten Einheiten.
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Orte der Erinnerung
Samstag, 8. August 2020
Unsere letzte Etappe führt uns zunächst auf die Bergkette Petrova Gora. Hier thront das Denkmal des Aufstandes der Einwohner von Kordun und Banja. Im ehemaligen Jugoslawien entstanden hunderte dieser sogenannten „Spomeniks“ in Gedenken an gefallene oder getötete Widerstandskämpfer und Zivilisten in der Zeit des zweiten Weltkrieges. Seit dem Heimatkrieg ist es größtenteils zerfallen, Teile der Verkleidung fehlen bereits gänzlich. Vielleicht diente es deshalb kürzlich als Kulisse für eine apokalyptische Netflixserie.
Persönlicher Buchtip:
Wer mehr über die Orte und Hintergründe der Spomeniks erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch „Spomenik Monument Database“. Alternativ können diese auch über die Spomenik Database abgerufen werden.
Dieser 208-seitige Buch beleuchtet die Geschichte von 81 Spomeniks im Raum des ehemaligen Jugoslawiens. Neben Fotos und Eckdaten, wie Architekt, Material und Ortsangabe behandelt das Buch die jeweilige Entstehungsgeschichte, das Design und den aktuellen Zustand des jeweiligen Monuments.
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Am darauffolgenden und letzten Tag unserer Tour besuchen wir das Heimatkriegmuseum in Karlovac in der Grenzregion zur Krajina. Dieses beleuchtet, stellvertretend für den Kroatienkrieg, die Verteidigung der Stadt in den Jahren 1991-1995. Neben Exponaten wie Fahrzeugen, Flugzeugen, Uniformen und Handfeuerwaffen gibt es Filme und weitere, multimedial und in kroatischer und englischer Sprache aufbereitete Informationen. Mit etwas mehr Bewusstsein für den damaligen Krieg und einer Summe an Impressionen verlassen wir am Nachmittag Kroatien.
Fazit: Das kroatische Hinterland hält einiges an unbefestigten Wegen für den geneigten Allradler bereit. Gerade in den Sommermonaten ist die Provinz eine gute Alternative zu der deutlich belebteren Küste. Die abgefahrenen Etappen des T.E.T. waren zumindest in den Sommermonaten mit einfacher Straßenbereifung gut zu bewältigen. Die Strecken reichen von Waldwegen über groben Karstschotter bis hin zu Sandpisten. Größere Fahrzeuge werden definitiv Probleme an einigen Engstellen bekommen. Wichtig ist, sich vorher unbedingt mit der derzeitigen Minensituation auseinanderzusetzen.
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